Ausführlicher Bericht zur WM 2023 in Toulon
Bericht von der Weltmeisterschaft 2023 der A-Cat (Open und Classic) in Toulon
Die Champions der Classics
„That was hard work!“ Scotty Anderson, der aus Australien Starkwind und große Welle gewohnt ist, kam sichtlich erschöpft, aber glücklich lächelnd vom Wasser. Soeben hatte er denkbar knapp die Weltmeisterschaft im A-Cat Classic errungen, punktgleich vor Gustavo Doreste aus Barcelona. Am letzten Tag der WM hatte das Mittelmeer vor der Toulon an der Cote d’Azur noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt, zu welch kräftigen Winden und zu welch brutalem Wellengang es fähig ist. Wie von vielen Beobachtern vorhergesagt, wurde die Meisterschaft der 80 weltbesten Classic-Segler erst am letzten Tag in der allerletzten Wettfahrt entschieden. Nur dank seiner größeren Zahl von ersten Plätzen konnte Scotty Anderson sich vor Gustavo Doreste behaupten – weshalb er ihn bei der Siegerehrung zu Recht als seinen „Co-Champion“ bezeichnete.
Komplettiert wurde das Podium vom Titelverteidiger Andrew Landenberger (AUS), der in der zweiten Regattahälfte bei stärkerem Wind mit fünf ersten Plätzen seine Weltklasse illustrierte, zuvor aber bei leichteren Winden geschwächelt hatte. Auffällig: Alle drei Spitzensegler auf dem Podium haben eine Olympiamedaille (Anderson 1984 und Landenberger 1992, jeweils im Tornado) oder eine Olympiateilnahme (Doreste 1980, 6. Platz im 470er) vorzuweisen. Allesamt sind sie nicht mehr die Jüngsten, aber sie sind körperlich topfit und wissen auch in einer agilen Bootsklasse wie dem A-Cat ihr riesiges Erfahrungswissen umzusetzen. Für die Jüngeren sind sie damit ein Vorbild – und ein Ansporn, sich auch im Winterhalbjahr etwas mehr sportlich zu betätigen…
Classic Team Germany
Das mit sechs Booten angetretene deutsche Classic-Team schlug sich in Toulon mit drei Platzierungen unter den Top Ten ausgezeichnet, es lag auf Augenhöhe mit den starken Australiern, Spaniern und Italienern. Am letzten Tag konnte sich der erst 21-jährige Moritz Weis mit seinem Exploder AD3 noch auf den fünften Platz vorschieben und errang damit den Junior-Weltmeistertitel für unter 25-jährige. Von ihm ist in der Zukunft dank seines rasant anwachsenden Erfahrungsschatzes noch mehr zu erwarten. Klassenpräsident Matthias Dietz mit seinem gerade erst eingetrimmten neuen Exploder AD3 kam auf einen hervorragenden sechsten Platz. In der ersten Regattahälfte war er zeitweilig sogar auf dem dritten Rang gelegen.
Lars Bunkenberg demonstrierte mit dem siebten Schlussrang, dass der von seinem Bruder Nils vor 21 Jahren konstruierte Nikita selbst mit einem veralteten klassischen Segelschnitt noch heute konkurrenzfähig ist. Die ebenfalls mit Nikita angetretenen Leichtgewichte Christian Stock (16. Schlussrang) und Georg Reuter (17. Platz) hatten mit je einem fünften Laufrang ihr Top-Ten-Potential bei leichter Brise unter zehn Knoten angedeutet, mussten dann aber bei stärkerem Wind Federn lassen. Rookie Thosten Zarske schlug sich dem 58. Rang sehr achtbar, zumal er bei allen Starkwindrennen ins Ziel kam.
Mindestens ebenso wichtig wie gute Platzierungen: Team Germany hat keinerlei Schäden am Material zu verzeichnen – was bei 80 Booten auf einem deutlich zu klein geratenen Parcours keineswegs selbstverständlich ist. Sieben Boote trugen allein bei den Classics nach heftigen Kollisionen schwere Rumpfschäden davon, hinzu kommen zahlreiche kleinere Beschädigungen – von den geknickten Egos der Segler ganz zu schweigen. An der ebenfalls recht knapp bemessenen Startlinie ging es überraschenderweise recht gesittet zu, einige Segler verzichteten darauf, in der ersten Reihe zu starten, was die Situation deutlich entzerrte. Doch an den Bahnmarken herrschte vor allem im Mittelfeld immer wieder nacktes Chaos, mit unzähligen haarsträubenden Bootsbegegnungen, die nicht immer gut ausgingen. Vertiefte Regelkenntnisse und vorausschauendes Segeln würden vielen Teilnehmenden nicht schaden. Wie bei den A-Cats üblich, wurden jedoch viele Protestsituationen später an Land bei einem Kaltgetränk (oder einem Pastis) gütlich beigelegt.
Foiler mit Geschwindigkeitsrekord
Bei den Foilern ging es nicht minder knapp zu. Bis zu Beginn der letzten Wettfahrt am letzten Tag lag der niederländische Altmeister Mischa Heemskerk in Schlagweite zum jungen Polen Kuba Surowiec. Doch dann pushte Mischa, für den Bremsen zumindest auf dem A-Cat nicht in Frage kommt, bei über 20 Knoten Wind auf dem Downwind-Kurs zu hart und kenterte. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Kuba war ebenfalls gekentert, „without pushing it too hard“, wie er hinterher berichtete. Da er aber vor Mischa im Ziel ankam, wurde er Weltmeister im A-Cat-Open – nach mehreren Anläufen ein ebenso höchst verdienter wie auch längst fälliger Erfolg für ihn. Darren Bundock (AUS) errang mit einer nahezu ebenbürtigen Leistung Bronze. Wie Bundy am letzten Renntag als Führender über den aufgewühlten Parcours raste, war absolut sehenswert. Titelverteidiger Ravi Parent (USA) begnügte sich mit der Holzmedaille. Für ihn war es keine perfekte Saison: Erst musste er seinen F18-Weltmeistertitel mit einem achten Rang abgeben, nun auch den A-Cat-Titel. Da er ebenso jung wie hochtalentiert ist, wird er diese Scharte bald auswetzen.
Kuba hatte am vierten Renntag bei gerade einmal zwölf bis 14 Knoten Wind einen sensationellen Geschwindigkeitsrekord von 32,2 Knoten verzeichnet. Wie er später an Land erzählte, hatte er an der Luvtonne lediglich die Großschot ein kleines bisschen gefiert und ansonsten alle Einstellungen auf Am-Wind-Modus belassen. Dieses Set-up ist instabil und daher risikoreich, aber wenn der scheinbare Wind ähnlich wie beispielsweise bei den Sail-GP-Katamaranen ohnehin immer von schräg vorne kommt, funktioniert es bei perfektem Handling offensichtlich. Für diejenigen, die anders als Kuba keine absoluten Topsegler sind, gilt: Don’t try this at home.
Beste Frau bei den Foilern wurde Cam Farrah aus den USA. Mit ihrem 16. Rang ließ sie zahlreiche erfahrene Männer hinter sich. Anders als diese segelt sie aber auch professionell, etwa beim America’s Cup-Team Magic America.
Open Team Germany
Bei den Foilern fiel die deutsche Beteiligung mit nur drei Booten nicht sehr groß aus, wie auch insgesamt die 46 Foiler quantitativ nicht mit dem fast doppelt so großen Classic-Feld mithalten konnten, dafür aber praktische alle Topleute am Start waren. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, eventuell hielt Toulons Ruf als Leichtwindrevier einige potentielle Teilnehmende aus Deutschland ab? Rainer Bohrer zeigt mit dem 19. Schlussrang, dass er in der erweiterten Weltspitze mithalten kann. Roeland Wenthold kam ohne jedes Vorort-Training im Vorfeld der WM auf einen sehr guten 29. Platz. Gleiches gilt für Katrin Brunner auf Platz 35, für die angesichts ihres Leichtgewichts zu viel Wind herrschte, um vorne mitzuhalten, und die dennoch jede Wettfahrt souverän ins Ziel brachte.
Stabile Verhältnisse beim Material
Gäbe es nicht die kleine, aber aktive Scheuer-Werft im schweizerischen Biel und träte nicht das kleine niederländische DNA-Team mit seinen mittlerweile fünf Jahre alten Booten an, dann wären die A-Cats mittlerweile nahezu eine Einheitsklasse – sowohl bei den Open als auch zunehmend bei den Classics. Denn die polnische Exploder-Werft dominiert mit ihrem AD3-Modell in hohem Maße den Markt. Doch bei näherem Hinsehen zeigen sich signifikante Unterschiede im Detail. So gibt es etwa bei den aktuellen Classic-AD3 mittlerweise zwei bestellbare Rumpfformen: Die etwas voluminöseren des Designs von 2017 und die etwas schlankeren von 2020. Die mit nagelneuen Plattformen antretenden Andrew und Andreas Landenberger bevorzugten die ältere Form, weil sie bei Wind über 15 Knoten ihrer Ansicht nach mehr Potential zum Downwind-Pushen biete. Scotty Anderson, Moritz Weis und einige andere sind aber auch mit dem 2020er Modell bei nahezu allen Bedingungen rasend schnell.
Bei den Foilern hingegen steht das nur leicht modifizierte 2020er-Modell außer Frage. Hier sind lediglich beim Setup der Verstelleinrichtungen, insbesondere beim Ruderdifferential, noch kleine Unterschiede auszumachen. Bei der Weiterentwicklung von Foils scheint ebenfalls Ruhe eingekehrt zu sein – oder es wird darüber geschwiegen.
Zur Produktion von konkurrenzfähigen Segeln gibt es inzwischen über zehn aktive Segelmacher aus verschiedenen Ländern und Kontinenten. Decksweeper sind auch bei den Classics nahezu Standard. Die Unterschiede bei den Segeln hinsichtlich Performance, Verarbeitungsqualität und inzwischen auch dem Preis sind gering. Bei den Masten ist Fiberfoam der Marktführer, der nur von Bimares Alien-Masten noch herausgefordert wird. Bemerkenswert: Bei der WM kam es trotz teilweise heftiger Bedingungen zu keinem einzigen Mastbruch. Insgesamt wird die bei der Materialentwicklung eingekehrte Stabilität von allen Seglern als sehr positiv für die A-Cat-Klasse bewertet.
Toulon und das WM-Team
Strahlend blauer Himmel und warmes azurblaues Wasser – wie erhofft erwies sich die Bucht von Toulon vor der Bergkulisse der Seealpen als traumhaftes Segelrevier. Doch für eine Segelweltmeisterschaft sind die Windbedingungen das Wichtigste. Auch hierbei hat die quirlige Mittelmeer-Metropole Toulon nahezu perfekt geliefert. Innerhalb des Klassenlimits von fünf bis 22 Knoten war fast alles geboten, die Leichtwindspezialisten kamen ebenso auf ihre Kosten wie die Starkwindfreaks. Da Wettfahrtleiterin Corinne Aubert ihren Job sehr souverän machte, blieben Schweinerennen bei grenzwertigen Bedingungen aus. Beim Olympia-Segelevent 2024 im nahegelegenen Marseille wird sie nicht von ungefähr einen der Rennkurse betreuen.
60 freiwillige Helferinnen und Helfer des Yacht Club Toulon sorgten auf dem Wasser und im Hafenbecken für einen reibungslosen Ablauf. Binnen 20 Minuten waren jeweils beide Flotten vollständig auf dem Wasser, das lief deutlich besser als im Vorfeld befürchtet. Bei der sanitären Infrastruktur an Land und bei den Social Events war in Toulon noch Luft nach oben, allerdings wollte die mitveranstaltende französische Klassenvereinigung die Kosten und damit die Startgelder moderat halten. Klassenkommunikator Gordon Upton lieferte täglich spektakuläre Fotos und ebenso informative wie humorvolle Berichte – der Mann ist pures Gold, wenn es darum geht, die A-Cat-Klasse in gutem Licht erscheinen zu lassen. Graeme Harbour und sein Vermesser-Team sorgten mit viel Erfahrung und maßvollen Strafen bei Verstößen für faire Bedingungen. Das Schiedsgericht um Paul Bastard hatte aufgrund der zahlreichen Kollisionen mehr zu tun, als es bei A-Cat-Regatten üblich ist, erledigte seine Aufgabe aber ebenfalls mit Bravour.
Fazit und Ausblick
Die WM in Toulon wird als eine der sportlich hochwertigsten in die Geschichte der A-Cats eingehen. Gute ausgeglichene Windbedingungen, anspruchsvolle Welle, hohe Beteiligung aus 17 Ländern von drei Kontinenten und denkbar knappe Ergebnisse nach sechs Renntagen sprechen eine deutliche Sprache. Das seglerische Niveau war in der vorderen Hälfte der Felder extrem hoch, selbst kleinste Fehler wie eine nicht ganz optimal gefahrene Wende wurden mit Platzverlusten von bis zu zehn Booten bestraft. Bei der Siegerehrung zeigten sich alle Teilnehmenden hochzufrieden über die WM.
Die nächste Weltmeisterschaft wird im September 2024 in Punta Ala an der toskanischen Küste nahe Elba ausgetragen. Die 2015 dort ausgerichtete WM gilt ebenfalls als eine der besten der Klasse. Die Beteiligung wird also in beiden Flotten voraussichtlich sehr hoch sein. Nicht entgehen lassen, rechtzeitig planen und reservieren! See you on the water.
Christian Stock GER 100
Ergebnisse:
https://www.manage2sail.com/en-US/event/Aclass#!/results?classId=Acat
https://www.manage2sail.com/en-US/event/Aclass#!/results?classId=ACATF